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Das Konzept der VIA-Charakterstärken in der Positiven Psychologie


Meine erste Psychologievorlesung im Jahr 2021 beschäftigte sich mit dem Konzept der VIA-Charakterstärken der Positiven Psychologie & dessen amerikanischen Erfinder Martin Seligman, der auch deutsche Forschende ausbildete, darunter Prof. J. Mangelsdorf und Dr. N. Rose. 


Auch in der Wirtschaft und im Management wurde von Peter Drucker mehrfach betont, dass Menschen sich selbst, andere und Organisationen als Ganzes nur führen können, wenn sie es schaffen, die Stärken des jeweiligen Systems zu bespielen, um im Laufe der Zeit vorhandene Schwächen irrelevant zu machen.


Dieser Ansatz hat nicht nur mich, sondern auch meine Mitstudierenden fasziniert und uns vor die Frage gestellt, wie möglichst viele Menschen mehr über ihre beruflichen Stärken erfahren können. Dazu lässt sich einerseits der vom Unternehmen Gallup bereitgestellte »Strength Finder«-Test nutzen. Andererseits wurde ergänzend zum "Gallup Strength Finder" in der Positiven Psychologie ein eigenes System von psychologischen Stärken entwickelt, dass Martin Seligman zusammen mit Christopher Peterson um menschliche Charakterstärken als Gegenentwurf zum sogenannten »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (DSM) erweiterte, dass eine Art Lexikon aller bekannten psychologischen Störungen darstellt.


 Das DSM listet auf, was Menschen in psychologischer Hinsicht aus der Bahn werfen kann, während das Stärkenkompendium im Sinne der Grundhaltung der Positiven Psychologie all jene wertschätzende Attribute beschreibt, die wir an anderen Menschen (wie auch an uns selbst) als positive Eigenschaften - so vorhanden - schätzen (Rose, 2019).


Zu diesem Zweck wurden in Fleißarbeit philosophische Texte, Biografien bedeutender Staatsmänner und -frauen sowie Klassikern der Psychologie in eine Art Katalog erstellt, um möglichst alle Kulturen zu erfassen, die eine Form universeller menschlicher Tugenden abbilden. Als Ergebnis kam ein System aus 24 Charakterstärken heraus, die sich auf sechs übergeordnete Tugenden verteilt, millionenfach als Selbsttest absolviert und vom Schweizer Psychologen Willibald Ruch ins Deutsche übersetzt wurde.


Weisheit und Wissen (Stärken, die den Erwerb und Gebrauch von Wissen beinhalten):


  • Kreativität: Neue effektive Wege finden, Dinge zu tun.
  • Neugier: Interesse an der Umwelt und anderen Menschen.
  • Urteilsvermögen: Dinge gut durchdenken, von verschiedenen Seiten betrachten.
  • Liebe zum Lernen: Neues Wissen aneignen und organisieren.
  • Weitsicht: In der Lage sein, guten Rat zu geben.


Mut  (Stärken, die uns helfen, interne und externe Barrieren zu überwinden)

  • Tapferkeit: Sich Bedrohungen oder Schmerz nicht leichtfertig beugen.
  • Ausdauer: Beenden, was man begonnen hat.
  • Ehrlichkeit: Die Wahrheit sagen und sich authentisch verhalten.
  • Tatendrang (Vitalität): Der Welt mit Begeisterung u. Energiereichtum begegnen.


Menschlichkeit (Stärken, die liebevolle menschliche Interaktionen ermöglichen)


  • Liebe geben und nehmen können: Menschliche Nähe herstellen und schätzen.
  • Großzügigkeit: Anderen Gefallen tun, gute Taten vollbringen.
  • Soziale Intelligenz: Sich eigenen Motive/Gefühle wie auch der anderen Menschen bewusst sein.


Gerechtigkeit (Stärken, die das Gemeinwesen fördern)


  • Teamwork: Gut als Mitglied eines Teams arbeiten.
  • Fairness: Menschen gleich und gerecht behandeln.
  • Führungsvermögen: Aktivität & Leistung in Gruppen ermöglichen & organisieren.


Mäßigung (Stärken, die dem Exzess entgegenwirken)


  • Vergebung: Menschen vergeben, die einem Unrecht getan haben.
  • Bescheidenheit (Demut): Das Erreichte für sich sprechen lassen.
  • Vorsicht (Besonnenheit): Nichts tun, was später bereut werden könnte.
  • Selbstregulation: Aufmerksam, angemessen steuern, was man fühlt und handelt.


Transzendenz (Stärken, die uns Entitäten näherbringen, die über die eigene Existenz hinausweisen)


  • Sinn für Schöne und Exzellenz: Schönheit in allen Lebensbereichen schätzen.
  • Dankbarkeit: Sich der guten Lebensdinge bewusst werden, sie zu schätzen wissen.
  • Hoffnung (Optimismus): Das Beste erwarten und daran arbeiten, es zu erreichen.
  • Humor: Lachen und Humor schätzen; Leute gerne zum Lachen bringen.
  • Religiosität und Spiritualität: Kohärente Überzeugungen von einem höheren Sinn des Lebens haben.



Dieses System enthält individuelle Stärken-Beschreibungen, die auf die Business-Welt bezogenen Test nicht  vermutet werden würde, z.B. Liebe geben und nehmen. Die 24 Stärken beschreiben Menschen in ihrer Individualität wertschätzend in positiver Art und Weise über Unterschiedlichkeit und Vielfalt, ohne in klassische Stärken-Schwächen-Muster zu verfallen – denn auch schwach ausgeprägte Stärken bleiben nach Definition der Positiven Psychologie Stärken (Rose, 2019).


Generell folgt das VIA-Modell einer Logik, die bereits von Aristoteles beschrieben wurde: eine Stärke liegt auf dem Mittelpunkt eines Kontinuums, dessen Pole durch zwei Laster beschrieben werden können. Mut z. B. lässt sich als Mittelpunkt zwischen den Polen Übermut und Feigheit je nach konkreten Anlass charakterisieren. Wenn beispielsweise ein gut ausgebildeter Feuerwehrmann mit entsprechender Ausrüstung in ein brennendes Haus geht, um ein Menschenleben zu retten, dann ist das nach Rose (2019) mutig. Würde ich mit meiner Qualifikation das Gleiche tun, wäre es ein Fall von ungesunder Tollkühnheit.

Der kostenlose VIA-Test dauert etwa 15 Minuten und ist in verschiedenen Sprachen auf 
viacharacter.org und charakterstaerken.org abrufbar. Häufig sind drei bis sechs am deutlichsten ausgeprägtesten Schlüsselstärken über verschiedene Situationen hinweg stabile Präferenzen im Fühlen, Denken und Handeln. Studien legen nahe, diesen Stärken möglichst viel Raum in unserem Leben einzuräumen, da der eigene Job als Berufung denn als trivialen Job betrachtet wird – was nach Harzer & Ruch (2013) mit einer Reihe von wünschenswerten positiven Erlebnissen im Arbeitsleben und nach Schutte & Malouff (2019) mit gesteigerter Lebenszufriedenheit verbunden ist.

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